
Liebes Tagebuch, liebe Leute!
Die Wasserfalltour war also zu Ende und mit unserer Chiva wurden wir durch erneut zähen Verkehr zurück ins Ortsinnere von Baños kutschiert. Erschreckend an wievielen Bruchbuden man hier vorbeifährt, ein Teil der Bevölkerung lebt leider in unglaublicher Armut...
Da das Wetter weiterhin vielversprechend aussah und ich ja nur diesen einen Tag in Baños hatte, wollte ich gleich spontan noch was buchen. Die Auswahl zwischen wandern, heiße Quellen, Höhle mit antiken Malereien inklusive Tour bei Nacht und Aussichtspunkt zum Vulkan fiel schlussendlich auf letzteres. Das Hostel gab mir einen Rabatt und so bekam ich für nur fünf Dollar die beiden Busfahrten plus einen Guide aus unserem Hostel inklusive. Abfahrt in einer Stunde.
Ich habe in der Zwischenzeit neue Graffiti entdeckt, den Meerschweinchen am Spieß beim Rundendrehen auf dem Grill zugeschaut, erneut Geld am Bankomat abgehoben und mir - Trommelwirbel - Wanderschuhe gekauft! In Perú würde ich ohnehin viel wandern, es wäre also vermutlich klug die neuen Treter vorher etwas einzugehen. 70 Euro haben sie mir gekostet. Vermutlich waren in einem Wanderort wie hier die Preise höher als sonst wo, aber wer weiß, wann ich wieder gut passende finden würde. (Ja, richtig gelesen: Meerschweinchen. Die essen sie hier überall.)😜
Ich war pünktlich zurück an der Rezeption und wurde von meinem Guide und zwei jungen Burschen aus Deutschland - Dominik und Kevin - auf den nächsten 2660m hohen Gipfel begleitet. Hinter der folgenden Attraktion steckt eine interessante Geschichte: Wir waren hier, um das weitbekannte "casa del árbol" - sprich "Baumhaus" - zu besuchen. Da sich genau gegenüber von diesem Gipfel der aktive Vulkan Tungurahua befindet, beschloss ein Vater vor vielen Jahren hier ein Baumhaus für seine Kinder zu bauen - Schaukel inklusive. Zufälligerweise kam eines Tages ein Fotograf des berühmten Formats "National Geographic" vorbei und knipste genau in jenem Moment ein Foto des Schaukelnden, als der gigantische Vulkan im Hintergrund ausbrach. Das Foto und das Baumhaus wurden berühmt und seither zieht es unzählige Touristen hierher.
Heute war es leider so neblig, dass wir den Vulkan hinter der weißen Wand im Hintergrund nur erahnen konnten. Trotzdem sah ich mir das Baumhaus näher an und wollte auch die Schaukel ausprobieren. Letzteres war eher keine gute Idee. Mein Adrenalinjunkie-Ich wollte sich diese Hauptattraktion nicht entgehen lassen, hatte jedoch komplett vergessen, dass ich einen unglaublich empfindlichen Magen besitze, was schaukeln und Höhe angeht.
Als ich endlich dran war (Holzschaukel, zwischen den Beinen nur ein Seil als "Sicherung", vor mir ein riesen Abgrund, kein Netz etc.) gab der Angestellte für einen Dollar beim Anschaukeln alles was irgend möglich war - und mit einem unglaublichen Zunt stieß er mich über die Abgrundkante. Problem. Schei*e.
Ich konnte mich gar nicht auf die Umgebung konzentrieren, sondern merkte SOFORT, dass es mir grade den Magen aushob und ich mich vermutlich gleich ankotzen würde. Hinter mir in der Schlange standen bestimmt minimum 50 Leute an. Wie würde das bitte aussehen, wenn ich in hohem Strahl Richtung Vulkan kotzen würde?? Ich spannte jeden Muskel in meiner Bauchgegend an, krallte mich an den beiden Seilen fest und wollte gerade laut rufen, dass es genug sei, als der Typ bereits zu einem zweiten Satz ausholte. Er hielt sich beim Zurückkommen an meine Schaukel fest, hob mit mir ein gutes Stück in die Luft ab- nur um mich mit vollster Kraft erneut anzuschaukeln. Mir entkam ein lauter verzweifelter Schrei und wieder kämpfte ich gegen meine Körperreflexe an. Ruhig atmen, konzentriere dich, lass deine Mango dort, wo sie gerade ist : In deinem Magen. Verdammt fühlte sich das ungut an, ich wollte, dass das sofort aufhört!!
Ich schaffte es irgendwie früh genug "Nada más!" ("nicht mehr") zu rufen, bevor er wieder voll durchziehen konnte und hörte hinter mir meinen Guide mit dem Typen darüber reden, dass es genug seie. DANKE DIR! Er nahm daraufhin keinen Anlauf mehr, sondern schaukelt mich stattdessen erneut, aber normal an. "Arme ausstrecken!" rief er nun. Ein weiteres Mal schoss ich über den Abgrund hinaus. Ohne den Extremkörpereinsatz des Mitarbeiters blieb Gott sei Dank der riesen Kotzreiz aus- geniesen konnte ich es aber noch immer nicht. "Nein!", war somit meine Antwort. Laut klar und deutlich. Mit der Situation noch komplett überfordert konnte ich mir grad gar nicht vorstellen, von dieser kaum gesicherten Schaukel beide Hände loszureißen. Fühlte sich an, als würde ich daraufhin nach vorne kippen, und dann? Runter in den sicheren Tod. Also nein. Lass mich einfach ausschaukeln und gut ist's.
"Doch! Beide Arme ausstrecken und damit fliegen!", hörte ich von hinten und sah ihm auch schon direkt ins Gesicht, da er anfing meine Schaukel in alle möglichen Richtungen anzudrehen. Das brauchte ich noch unbedingt, ja danke.
Langsam kam ich wieder zur Besinnung und fand auch meine verlorene Sprache wieder. : "Ich bin aber kein Vogel, also nein!" ("Pero no soy un pajaro, entonces NO!"), schrie ich abermals bestimmt. Die ganze Menschenmenge lachte und fand das weiße Mädchen anscheinend sehr unterhaltsam.
Er ließ nicht locker. Nachdem er aufhörte erneut anzuschaukeln, die Schwünge nach und nach normale Ausmaße annahmen und ich beginnen konnte, das Spektakel zu genießen, ließ ich irgendwann tatsächlich los, flatterte ein paar mal mit den Armen und erntete einige Klatscher für meinen doch wiedergefundenen Mut. Gut, dass mein Guide ein Video gemacht hatte, so konnte ich mir den Moment, als ich mein Lächeln wiederfand, als Foto ausschneiden. Den Rest will ja nun wirklich keiner sehn. 😂
Na hea ma auf- war ich froh, als ich dieses Holzgestell verlassen konnte. Mut zur Höhe ist eine Sache, aber wenn der Körper an seine Grenzen kommt, ist es eine andere. Das nächste mal werde ich diese Gaude wohl leider den anderen überlassen müssen. Hat schon seinen Grund, warum ich beim Kirtag - Jahrmarkt - nie mit dem ganzen Zeug fliegen und herumdüsen kann. Mein Magen packts einfach ned. 😅
Heilfroh, mich nicht vor zig Leuten angekotzt zu haben, ging ich mit den anderen noch zu einem anderen Aussichtspunkt, machte Fotos und wartete dann zurück am Parkplatz auf unsere kunterbunt leuchtende Partychiva. Inzwischen war es auch schon komplett finster geworden und die Blinklichter kamen noch besser zur Geltung. Vor mir saß eine Reihe junger einheimischer Mädls, die bestens gelaunt ein Lied nach dem anderen laut mitträllerten. Und ein Typ mit extrem hässlicher Strickmütze. Mützen/ Hauben sind so und so ein großes Ding hier in Ecuador, das war mir schon mehrmals aufgefallen. Die Leute tragen sie ohne Scham in den buntesten Farben und verrücktesten Modellen - oft mit Gesichtern oder riesen Ohren dran. Erwachsene Männer. Tja, jeder wie er meint😅.
Die beiden deutschen Jungs luden mich zurück im Hostel ein, mit ihnen gemeinsam zu kochen und zu essen, doch der Hunger war einfach schon zu groß. Da ich heute noch nichts Richtiges gegessen hatte, konnte ich duschen, einkaufen und kochen einfach nicht abwarten. Ich ging also direkt zum Gastrozentrum des Ortes und hielt ein weiteres Mal nach "locro de papa" Ausschau. Die Kartoffel-Käsesuppe, welche ein absoluter Klassiker in Ecuador ist, findet sich nicht auf jeder Karte, da man mehrere Euro für die aufwendige Herstellung hinblättern darf. Sechs bis acht Euro für "nur" einen Teller Suppe zahlen Einheimische ungern und kochen sich die Spezialität wenn dann selbst zu Hause.
(Als ich in meinem Hostel in Quito am letzten Abend danach fragte, bzw. nach einem Restaurant, welches diese am Menü führt, bekam ich ein so nettes Angebot. "Leider gibt es hier in der Umgebung kein Restaurant, wo du die Suppe bekommen würdest, aber wenn du morgen noch da bist, bitte ich meine Mama für uns alle eine zu kochen und du bist herzlich zu unserem Abendessen eingeladen!" Haaaach soooo lieb die Menschen hier, da geht einem immer wieder das Herz auf! ❤️ Leider musste ich Quito am nächsten Morgen schon verlassen und konnte der Einladung nicht nachgehen.)
Umgehauen hat mich die Suppe in meinem Restaurant in Baños übrigens nicht unbedingt, da schmeckt meine Cremesuppe zuhause gewiss so gut! 😉
Morgen geht's weiter- Perú kommt immer näher! Grüße, eure Babsi!
(Freitag, 4. November 2022)
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