Comuna 13- Der Tod wartet vor der Haustür

Veröffentlicht am 16. Oktober 2022 um 01:50

Liebes Tagebuch, liebe Leute!

Da ich gerade im Stau feststecke nutze ich die Zeit gleich, um endlich über meine Tour "Comuna 13" (sprich "komuna trese") zu berichten. Das war wirklich ein ganz außergewöhnlicher Tag mit massenhaft Geschichte- oder besser gesagt Gruselgeschichte?

Ich traf mich in einem Hostel mit Orna aus Irland. Mit ihr war ich bereits in Bogotá auf einer Walking Tour und da wir nun zeitgleich wieder im selben Ort waren, schrieben wir uns per Instagram zusammen. Mit kamen auch noch Chris aus Brooklyn und Sergio aus Spanien - eine ganz nette Partie! Ein Freund von Sergio aus Deutschland schloss sich uns während der Tour ebenfalls noch an. Wir teilten uns ein Uber und wurden direkt beim Treffpunkt der Tour, der Metrostation San Javier, rausgelassen. Unser heutiger Guide (leiiider weiß ich den Namen nicht mehr) war erst 20 Jahre jung. Jung und trotzdem schon so unglaublich viel erlebt. Einiges davon würde er uns gleich berichten, doch davor fuhren wir alle gemeinsam mit einem Bus ein kleines Stück ins Zentrum des Geschehens.

Wie im letzten Bericht bereits erwähnt besteht die Stadt Medellín aus 16 Bezirken und Comuna 13 ist eben der 13. davon.
Da es schon den ganzen Tag regnete (ich war ganz stolz drauf, dass wir den Tag trotzdem nutzten und das Beste draus machten) wurden wir für einen längeren Geschichtenvortrag in eine Rooftopbar geführt. Und Geschichte gehört zu dieser Tour einfach dazu. Das, was es wirklich so mitreißend machte, war wohl die Tatsache, dass die Erzählungen teils noch keine 10 Jahre in der Vergangenheit stattfanden. Bis auf die ganz kleinen Kinder hier im Bezirk ist also jeder Einheimische Teil dieser schrecklichen Geschichte. Los geht's!

Comuna 13 ist einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile. Hier reiht sich wirklich eine Hütte an die andere, soweit das Auge reicht. Der Bezirk war schon immer ein wichtiger Dreh-, und Angelpunkt für Schmuggler aller Art, da er sehr zentral liegt und man durch ihn durch leicht an die Häfen im Pazifik kam.
In den 80er Jahren war es quasi die Stadt von Pablo Escobar (den kennt ihr bestimmt) und als Drogenhochburg fanden hier immer wieder Kämpfe zwischen verschiedenen Drogenkartellen statt. Tagtäglich erlebten die Menschen dort Gewalt, Tod, Entführung und Korruption. Die Regierung und die Polizei setzten sich kein bisschen für die Leute und eine Besserung der Lage ein. Jeder Polizist sah für ein paar Scheine weg, wenn neben ihm geschmuggelt oder gemordet wurde. Die Menschen trauten sich kaum mehr auf die Straßen und so hatten viele junge Männer auch keinen Job und wurden dann von den verschiedenen Kartellen angeworben. Leicht zu überreden, doch was anderes kannten die Jugendlichen dort auch nicht.

Unser Guide erzählte uns z. B. von seiner Kindheit vor mehr als 10 Jahren. Ausnahmslos jeden Tag wurde er mit dem Tod konfrontiert. Schon als er als 6-Jähriger mit der Grundschule anfing, musste er auf dem Nachhauseweg, welcher über zig Stiegen den Hang hinauf führte, regelmäßig über Leichen drüberklettern. Die lagen so lange auf den Stufen, bis sie von einem Familienmitglied entdeckt und entfernt wurden. Ihm wurde immer eingetrichtert, dass er ja nicht anhalten oder helfen solle, selbst wenn ihn jemand darum bittet - denn dann wäre er ganz schnell das nächste Opfer. Eines Tages auf dem Weg zur Schule, als er gerade über einen Körper drübersteigen wollte, schnellte eine Hand nach oben und griff nach ihm - der Mann am Boden lebte noch und flehte um Hilfe. Doch er befolgte brav, was ihm zu Hause eingetrichtert wurde und so riss er sich los und lief weiter. Am Nachhauseweg lag der Mann noch immer dort - inzwischen tot und am nächsten Tag wurde er von seiner Familie abgeholt. "Das ist nur eine kleine Geschichte aus meiner Kindheit", meinte er. Es gäbe davon unzählige und wenn man bedenkt, dass er jetzt erst 20 Jahre alt ist, dann wird einem erst klar, dass das wirklich erst kürzlich alles passiert ist. Der Ort war ein Desaster. Escobar selbst wurde von den Leuten entweder geliebt, oder gehasst. "Endlich bringt einer Geld ins Viertel", war die eine Meinung. Die andere Seite der Bevölkerung sah ihn jedoch als Art "Hitler" an, der nur Tod und Verderben brachte.

Medellin galt damals lange als gefährlichste Stadt der ganzen Welt und Comuna 13 als gefährlichstes Viertel. Auf 100 000 Einwohner kamen 400 Morde und somit lag die Mordrate weltweit auf Platz 1. Als Escobar starb kämpften die Guerilla, die Paramillitärs und die Farc um das Gebiet. Der Krieg ging noch lange so weiter und bis einschließlich 2002 hatten die Guerilla den Bezirk dann in der Hand.

Und dann kam die Regierung ins Spiel. Wenn ihr glaubt, dass die den unschuldigen Menschen dort endlich zur Hilfe eilten, habt ihr euch gewaltig getäuscht. Die Regierung hatte die Nase gestrichen voll von den Guerillas und deren Drogenherrschaft in Comuna 13 und so riefen sie die "Operación Orion" ins Leben. Eine Säuberungsaktion. Vier Tage lang wurde mit Hilfe von Hubschraubern, Panzern und schwer bewaffneten Soldaten ununterbrochen auf alles geschossen, was sich bewegte. Einschließlich Kinder, schwangere Frauen, einfach alles. Die meisten Guerillakämpfer zogen sich bereits vor der Operation in die Berge zurück, das heißt, dass der Großteil der Opfer aus unschuldigen Zivilisten bestand. Umso mehr Menschen ein Soldat tötete, desto mehr Geld erhielt er von der Regierung. Das alles geschah erst 2002 meine Lieben!

Nach vier Tagen des Tötens hatten die Einwohner einfach genug und eine Frau startete eine besonders mutige Aktion: Während draußen gezielt auf Leute geschossen wurde stellte sie sich mit einem weißen Leintuch auf den Balkon ihres Hauses und bat um Frieden. Der Nachbar sah das und tat es ihr gleich und so entstand eine Kettenreaktion, bis schlussendlich alle Straßen voll waren mit Menschen in Weiß. Und tatsächlich: Das Feuer wurde eingestellt. Zuvor konnte die Regierung das Morden entschuldigen mit der Ausrede, sie wollten doch nur die Stadt von den Guerillas befreien, doch so offensichtlich auf Zivilisten schießen, welche sich freiwillig auf die Straßen begaben, konnten sie einfach nicht rechtfertigen. Das Militär zog sich zurück.

Und nun begann langsam der Wandel: Das größte Kartell war zerschlagen, die Morde gingen nach und nach über die Jahre langsam zurück und Erwachsenen wollten den jungen Kindern unbedingt eine Alternative zur Gewalt bieten und so fingen sie an ihnen Graffiti, rappen oder Breakdance beizubringen. Kunst und Musik statt töten.
Als unser Guide zehn Jahre alt war dachte er noch drüber nach, welcher Drogengang er wohl bald beitreten und wann er endlich das Töten lernen würde. Für einen Zehnjährigen war das bis dahin die traurige Realität. Doch jetzt wurde endlich alles besser und die Regierung investierte sogar in Förderprogramme für Spielplätze, Sportplätze und Co.
In den letzten Jahren mauserte sich der unsicherste Ort der Welt also zum Tourismusmagneten. Diebstahl und Gewalt gibt es hier hinsichtlich Tourismus kaum, denn alle Einwohner ziehen an einem Strang, um aus ihrem Bezirk etwas zu machen und schließlich bringen die Touristen das Geld in die Kassen. Geld, das dafür benötigt wird, das zerstörte Viertel wieder aufzubauen. Und es funktioniert. Die engen Gassen sind tagsüber gerammelt voll mit Touristen, Bars und Restaurants gibt es an jeder Ecke, die einheimischen Leute sind glücklich und tanzen und singen. Unglaublich, einfach alles. 

Während wir so durch die Straßen spazierten (der Regen war vorüber🙏) und uns ein Graffiti nach dem anderen ansahen, fielen uns die ganzen Löcher in den Wänden auf: Einschusslöcher. Da sie zur Geschichte dazugehören wird nur drüber gesprüht, jedoch kein Loch gestopft, oder ausgebessert. Jedes Graffiti erzählt seine ganz eigene Geschichte - hier wird nicht einfach nach Lust und Laune dahingesprüht.

Einen Stopp legten wir in einem ganz kleinen Kaffeeladen ein. Kolumbien ist ja der weltweit drittgrößte Kaffeelieferant nach Brasilien und Vietnam und steht hinsichtlich Geschmack auf Platz 1. Ich selbst bin ja keine Kaffeetrinkerin und greife lieber zum Tee, doch hier musste ich natürlich auch eine Tasse kosten. Der Kaffee wurde wieder per Hand mit einer ganz speziellen Technik zubereitet. Bezahlen musste man für die Tasse nichts, dafür konnte man aber etwas aus dem Shop erwerben und ich hab mich für eine kleine Packung Schoko-Mokkabohnen entschieden (liebe Grüße an dieser Stelle an meine Mama: Ich freu mich schon richtig auf deine jährlichen Mokkaschiffchen zu Weihnachten! ❤️)

Einen weiteren Stopp machten wir in einem Künstlershop, wo man Drucke etc. verschiedener Kunstwerke erwerben konnte.
Ein kleines Highlight der Tour? Da es teilweise extrem steil bergauf geht, wurden hier vor wenigen Jahren Outdoor Rolltreppen erbaut, um den Hügel leichter zu erklimmen. Neben Medellin besitzt nur Hong Kong solche Rolltreppen- nur, dass man sich im modernen China diese eher vorstellen kann. Hier mitten im Slum sieht das schon ganz schön gewöhnungsbedürftig aus. 😅

Gemütlich sausten wir also immer weiter nach oben und kamen irgendwann am Ende unserer Tour an: Bei den Regenbogenrutschen. Hier dürfen nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene in eine "positive Zukunft" rutschen. Ich hab das gleich mal als Erste getestet. 😉
Nach der Übergabe des Trinkgeldes ging ich mit meinen Leuten noch in eine Rooftopbar auf ein Bier (der Ausblick war meeega klasse) und wir warteten auf das Angehen der Lichter in der Abenddämmerung. Das war das Warten auch wirklich wert-innerhalb weniger Minuten blitzen nach und nach Tausende Lichter auf! 

Länger wollten wir dann aber nicht mehr bleiben, denn jeder von uns war bereits sterbenshungrig. Wir nahmen den Bus zurück zur Metrostation (selbst das moderne Metrosystem schien hier mitten im Slum etwas surreal) und zwei Züge. Noch ca. 30 Minuten Fußweg und wir waren beim Restaurant angekommen. Sergio hatte es empfohlen bekommen - soll angeblich was ganz Feines sein. Und so fein war es tatsächlich, denn ohne Reservierung kein Tisch, mist. Wir entscheiden uns auf gut Glück zu warten und bekamen wirklich nach 20 Minuten einen Tisch. Das Warten hat sich zu 100% gelohnt, denn ich habe denke ich noch nie so ein schönes Lokal gesehen! Komplett versteckt erstrahlten plötzlich ganz viele Lichter auf zwei Etagen und alles ist wunderschön dekoriert mit Pflanzen, Bücherregalen und Vintage Gegenständen. Wie eine andere Welt.
Die Menüs, die man bestellen konnte, waren allesamt zum Teilen, also bestellten wir einfach mal 5 Gänge quer durch die Karte. 45 Minuten Wartezeit scheinen unendlich, wenn man bereits so unglaublich hungrig ist, aber dafür bekamen wir ganz edle und köstliche Sternenküche. Ja, das Essen hat uns umgehauen und der Preis auch, denn inklusive Wein kostete uns der feine Spaß keine 20 Euro die Nase (ich möchte ja gar nicht wissen, was ich in Österreich für selbiges hingeblättert hätte).

Das war er dann auch: Der perfekte Abschluss eines super interessanten Tages. Ich hoffe, ich konnte euch hiermit einen interessanten Einblick ins sowohl gefährliche, als auch schöne Kolumbien geben. Falls ihr auf Netflix mal die Serie "Narcos" schauen solltet, werdet ihr bestimmt das ein oder andere mal an mich denken! 😉

Grüße, eure Babsi!

(Sonntag, 9. Oktober) 

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